Keine Grundsatzfragen im Auslagenersattungsverfahren

» BVerfG, Beschluss vom 09.08.2018 - 2 BvR 1228/16 «

Kurzzusammenfassung

In einem Steuerstrafverfahren hatte die Staatsanwaltschaft diverse private und geschäftliche Unterlagen und Gegenstände unseres Mandanten beschlagnahmt. Hiergegen beantragten wir beim Amtsgericht die gerichtliche Entscheidung und legten gegen den ablehnenden Beschluss sodann Beschwerde ein. Da uns weder vor der Entscheidung des Amtsgerichts noch vor der Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Akteneinsicht gewährt worden war und die Gerichte die Ansicht vertraten, dies müsste man auch nicht, rügten wir nach einer ebenfalls erfolglosen Gehörsrüge die Verletzung des grundgesetzlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör mit einer ausführlich begründeten Verfassungsbeschwerde. Während die Verfassungsbeschwerde über ein Jahr lang unbearbeitet blieb, gelang es uns, eine Einstellung des gegen unseren Mandanten geführten Steuerstrafverfahrens nach § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage nebst Herausgabe der beschlagnahmten Unterlagen und Gegenstände zu erreichen. Damit war auch der Grund für die Verfassungsbeschwerde entfallen und das Bundesverfassungsgericht hatte nur noch über die Kosten der Verfassungsbeschwerde zu entscheiden.

Nachdem das Verfahren fast ein weiteres Jahr in Karlsruhe lag, entschied das Bundesverfassungsgericht nun, dass unserem Mandanten die Auslagen für seine Verfassungsbeschwerde nicht zu erstatten sind. Zwar gebe es diverse Grundsatzfragen, die im Zusammenhang mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfen worden waren, allerdings sei das Verfahren über die Auslagenerstattung nicht dazu geeignet, diese grundsätzlichen Fragen abschließend zu klären. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist inhaltlich nachvollziehbar, aus rechtlicher Sicht ist es jedoch schade, dass bedeutsame rechtliche Fragen weiterhin ungeklärt geblieben sind (Darf eine gerichtliche Beschwerdeentscheidung in Beschlagnahmefällen erst ergehen, wenn zuvor Akteneinsicht gewährt wurde? Darf beziehungsweise muss das Beschwerdegericht die Entscheidung gegebenenfalls zurückstellen, falls der Verteidigung noch keine Akteneinsicht gewährt wurde?).


Volltext der Entscheidung

In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde

des Herrn █████████ B██████,
███████████████ ████, █████████████

- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Jürgen Just,
in Sozietät Rechtsanwälte Just & Partner,
Großneumarkt 24, 20459 Hamburg -­

gegen a) den Beschluss des Landgerichts Lübeck
vom 6. Juni 2016 -6 Qs 12/16 -,

b) den Beschluss des Landgerichts Lübeck
vom 31. Mai 2016 -6 Qs 12/16

hier: Antrag auf Anordnung der Erstattung der notwendigen Auslagen

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch

die Richterin Hermanns,
den Richter Müller
und die Richterin Langenfeld

am 9. August 2018 einstimmig beschlossen:

Der Antrag des Beschwerdeführers auf Anordnung der Erstattung seiner notwendigen Auslagen wird abgelehnt.

G r ü n d e:

Über die Verfassungsbeschwerde ist aufgrund der Erledigungserklärung des Beschwerdeführers vom 27. Oktober 2017 nicht mehr zu entscheiden (vgl. BVerfGE 7, 75 <76>; 85, 109 <113>). Verfahrensgegenstand ist lediglich noch der Antrag des Beschwerdeführers auf Erstattung seiner notwendigen Auslagen, dessen Entscheidung der Kammer obliegt (vgl. BVerfGE 72, 34 <38 f>). Dieser Antrag hat keinen Erfolg.

1. Nach Erledigung der Verfassungsbeschwerde ist über die Erstattung der dem Beschwerdeführer entstandenen Auslagen nach Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden (§ 34a Abs. 3 BVerfGG). Dabei ist eine Gesamtwürdigung aller bekannten Umstände vorzunehmen. Mit Blick auf die Funktion und Tragweite verfassungsgerichtlicher Entscheidungen kommt eine summarische Prüfung der Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde regelmäßig nicht in Betracht (vgl. BVerfGE 85,109 <115 f>; 87, 394 <398>; 133, 37 <38 Rn. 2>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. März 2017 -2 BvR 144/17 -, juris, Rn. 2; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 9. Februar 2017 -1 BvR 309/11 -, juris, Rn. 2). Eine Erstattung von Auslagen kommt allerdings dann in Betracht, wenn die Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde unterstellt werden kann oder wenn die verfassungsrechtliche Lage - etwa durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in einem gleich gelagerten Fall - bereits geklärt ist (vgl. BVerfGE 85, 109 <114ff.>; 133, 37 <38f. Rn. 2>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 9. Februar 2017 -1 BvR 309/11 -, juris, Rn. 2; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 8. Juni 2016-1 BvR 210/09 -, juris, Rn. 4 f.; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Oktober 2013 -2 BvR 1446/12 -, juris, Rn. 5 m.w.N.).

Bei der erforderlichen Gesamtwürdigung kommt zudem dem Grund, der zur Erledigung geführt hat, wesentliche Bedeutung zu (vgl. BVerfGE 85, 109 <114f.>; 87, 394 <397>). Beseitigt die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt oder hilft sie der Beschwer auf andere Weise ab, kann - soweit keine anderweitigen Gründe ersichtlich sind - davon ausgegan gen werden, dass sie das Begehren des Beschwerdeführers selbst für berechtigt erachtet hat. In diesem Fall ist es billig, die öffentliche Hand ohne weitere Prüfung an ihrer Auffassung festzuhalten und sie zu verpflichten, die Auslagen des Beschwerdeführers in gleicher Weise zu erstatten, wie wenn der Verfassungsbeschwerde stattgegeben worden wäre (vgl. BVerfGE 85, 109 <115>; 87, 394 <397>).

2. Gemessen daran kommt eine Auslagenerstattung hier nicht in Betracht.

a) Allein dadurch, dass das Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer gemäß § 153a StPO eingestellt wurde, haben die Ermittlungsbehörden nicht zum Ausdruck gebracht, dass sie die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen über die Beschlagnahme für grundrechtswidrig halten.

b) Im Übrigen war die Verfassungsbeschwerde auch nicht in einer Weise offensichtlich begründet, die eine Auslagenerstattung rechtfertigen würde.

Ob die zu Haftfällen entwickelte und später auf Wohnungsdurchsuchungen und Anordnungen dinglichen Arrests erstreckte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Akteneinsicht im strafprozessualen Beschwerdeverfahren (vgl. BVerfGK 3, 197; 7, 205; 10, 7; 12, 111) auch auf Beschlagnahmen übertragen werden kann, ist umstritten (vgl. Laufhütte/Willnow, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 147 Rn. 16 einerseits und Michalke, NJW 2013, S. 2334 andererseits) und verfassungsrechtlich noch abschließend nicht geklärt (vgl. auch BVerfGK 1, 45 <46>). Aus der Senatsentscheidung vom 9. März 1965 (BVerfGE 18, 399) ergibt sich nichts anderes. Dort hatte das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör durch die unterbliebene Akteneinsicht im Beschwerdeverfahren nur deshalb bejaht, weil dem Beschwerdeführer auch Unterlagen vorenthalten worden waren, in die dem Verteidiger die Einsicht gemäß § 147 Abs. 3 StPO in keiner Lage des Verfahrens versagt werden darf, und es nicht ausgeschlossen werden konnte, dass die angefochtene Entscheidung auf diesen Unterlagen beruhte (vgl. BVerfGE 18, 399 <405 f.>). Weiter gehende Aussagen lassen sich dieser Entscheidung nicht entnehmen (vgl. auch Park, StV 2009, S. 276 <281>). Das Verfahren über die Auslagenerstattung gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG bietet weder Möglichkeit noch Anlass, diese Fragen abschließend zu klären.

Entsprechendes gilt, soweit der Beschwerdeführer unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf die Möglichkeit hinweist, die Entscheidung über die Beschwerde bis zur Gewährung von Akteneinsicht zurückzustellen. Diese Rechtsprechung steht nur deswegen mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes in Einklang, weil dem Feststellungsinteresse des Beschwerdeführers in diesen Fällen nicht mit gleicher Eilbedürftigkeit nachgekommen werden muss wie einem Anfechtungsbegehren, das sich gegen einen fortdauernden Eingriff richtet (vgl. BVerfGK 10, 7 <11>; 12, 111 <117>). Danach kann diese Rechtsprechung jedenfalls nicht ohne Weiteres auf Fälle einer noch andauernden Beschlagnahme übertragen werden.

Aus der wiederholten Versagung von Akteneinsicht aufgrund anderweitiger Versendung der Akte ergibt sich jedenfalls kein offensichtlicher Gehörsverstoß, auf dem die Beschwerdeentscheidung beruhen würde. Denn bis zu diesem Zeitpunkt wurde die Akteneinsicht jedenfalls auch wegen Gefährdung des Untersuchungszwecks bis zum Abschluss der Ermittlungen versagt.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Hermanns Müller Langenfeld